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28. März 2024

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Supercomputer entschlüsseln Materialprozesse 

Supercomputer entschlüsseln Materialprozesse © Pexels.com/Manuel Geissinger

TU-Wien entwickelt mit Tribologiezentrum Wiener Neustadt und Londoner Imperial College neue Methoden für die Materialwissenschaft. Extrem umfangreiche Computersimulationen erlauben dabei erstmals genauen Blick auf verschiedene Materialveränderungen.

(red/mich) Die Themen Verschleiß und Reibung sind für viele unterschiedliche Industriebereiche relevant. Was passiert, wenn eine Oberfläche über eine andere gleitet? Mit welchen Materialveränderungen muss hier gerechnet werden? Was bedeutet das für die Haltbarkeit und Sicherheit von Maschinen?

Vorgänge, die hier auf kleinsten atomaren Ebenen passieren, lassen sich nicht direkt beobachten. Nun steht dafür ein neues wissenschaftliches Werkzeug zur Verfügung: Das Tribologie-Team von Carsten Gachot am Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung an der TU-Wien konnte über aufwändige Computersimulationen mittels Hochleistungsrechner Verschleiß und Reibung realer Werkstoffe simulieren.

Lebensdauer von Maschinen, Motorenergie oder Bremskraft
Die Ergebnisse beim Verhalten von Oberflächen aus Kupfer und Nickel stimmen genau mit Bildern aus dem Elektronenmikroskop überein und lieferten zudem noch wertvolle Zusatzinformation. „Metalle aus der Technik haben eine spezielle Mikrostruktur. Sie bestehen aus kleinen Körnchen, mit einem Durchmesser in der Größenordnung von Mikrometern oder noch kleiner“, so Stefan Eder, Autor der aktuellen Projektpublikation im renommierten Fachjournal „ACS Applied Materials & Interfaces“.

Wenn nun ein Metall unter großen Belastungsprozessen über das andere gleitet, dann geraten diese Körnchen der beiden Materialien aneinander. Diese mikroskopischen Vorgänge bestimmen das Verhalten des Materials auf großer Skala und entscheiden letztlich auch über die Lebensdauer einer Maschine, wie viel Energie in einem Motor durch Reibung verlorengeht oder wie gut eine Bremse mittels möglichst hoher Reibkraft funktioniert.

Computersimulation und Experiment
Bisher war es nicht möglich, den Ablauf dieser Prozesse zu studieren und genau zu erklären, wodurch welche Effekte zu welchem Zeitpunkt verursacht werden. Diese Lücke schließen nun große Molekulardynamik-Simulationen, welche die TU Wien zusammen mit dem Exzellenzzentrum für Tribologie (AC²T) in Wiener Neustadt und dem Imperial College in London entwickelte.

Je größer das simulierte Materialstück und je länger der simulierte Zeitabschnitt, umso mehr Computerleistung wird benötigt. „Wir simulieren Abschnitte mit einer Seitenlänge von bis zu 85 Nanometern, über einige Nanosekunden hinweg“, so Stefan Eder. Um die Dimensionen besser zu veranschaulichen: Selbst der Vienna Scientific Cluster 4, Österreichs größter Supercomputer, ist mit solchen Aufgaben mitunter monatelang beschäftigt.

Praxisorientierte Relevanz für Industrie
Das Team untersuchte etwa den Verschleiß einer Legierung aus Kupfer und Nickel – und zwar bei unterschiedlichen Mischungsverhältnissen der beiden Metalle und unterschiedlichen mechanischen Belastungen. „Wir können damit Bilder produzieren, die genau den Aufnahmen aus dem Elektronenmikroskop entsprechen. Unser Vorteil ist jedoch, wir können den Prozess danach am Computer im Detail analysieren und damit auch die unterschiedlichen Phasen und Auswirkungen“, sagt Stefan Eder.

In der Industrie stoßen die neuen Methoden bereits auf großes Interesse, so die TU-Experten. „Schon seit Jahren wird darüber diskutiert, dass die Tribologie von verlässlichen Computersimulationen profitieren könnte. Nun haben wir ein Stadium erreicht, in dem die Qualität der Simulationen und die verfügbare Rechenleistung so groß sind, dass wir dadurch Fragen zu industriellen Prozessen beantworten könnten, die auf andere Weise nicht zugänglich wären“, unterstreicht Carsten Gachot.

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red/mich, Economy Ausgabe Webartikel, 07.09.2020