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12. Dezember 2024

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Gläserne Taschen

Gläserne Taschen© Carla Müller

Schon heute ist der gläserne Autofahrer Realität. Mit Einführung der Pkw-Maut wird er auch mit einer gläsernen Brieftasche unterwegs sein, auch wenn das heiße Eisen Maut derzeit niemand angreifen will.

Die Autofahrer sind bereits heute indirekt total durchsichtig: Jedem Lenker, der mit der Kreditkarte zahlt oder mit dem Handy telefoniert, schaut der Große Bruder über die Schulter. Aber wenn die Pkw-Maut kommt, werden die Autofahrer noch stärker überwacht werden. Dabei stehen Datenschutz-Bedenken die Vorteile von mehr Sicherheit im Verkehr gegenüber. Auch wenn sich vor den anstehenden Nationalratswahlen niemand als Befürworter einer kilometerabhängigen Bemautung outen will, könnte es nach den Wahlen ganz anders ausschauen. Zumindest Experten und Lobbying-Organisationen denken schon derzeit über neue, verursachergerechte und ökologischere Finanzierungsformen für die Abdeckung der Kosten des Individualverkehrs nach. Während in Österreich das Thema Pkw-Maut fast ein Tabu darstellt, sind andere Länder da schon viel weiter, wie Autofahrer im europäischen Ausland schon seit Jahr und Tag erfahren müssen. Dort gilt: Nur wer zahlt, darf die Autobahn benutzen. Unangenehmer Nebeneffekt: Die Mautflüchtlinge verstopfen die Landstraßen. Dabei setzen die europäischen Länder auf unterschiedliche Mauteinhebung:Kilometerabhängige Mautsysteme gibt es in Spanien, Portugal, Italien, Frankreich, Slowenien, Kroatien, Mazedonien sowie Griechenland. Die Vignette gibt es in der Schweiz, Ungarn, Slowakei, Tschechien, Rumänien und Bulgarien ebenso wie in Österreich. Hierzulande löst das Wort Maut schon fast allergische Reaktionen aus. Überhaupt keine Freude hat man bei der für den Ausbau des hochrangigen Straßennetzes zuständigen Asfinag mit diesem Thema. Der zuständige Vorstand drohte gar mit einem Abbruch des Gespräches und ergeht sich stattdessen in den Vorteilen der Verkehrssteuerung durch die Asfinag. Ähnlich scheu gibt man sich im Büro des Verkehrsministers und Vizekanzlers Hubert Gorbach. Dort reagiert man auf das Thema Bemautung mit beredtem Schweigen, wohl auch, weil sich der selbsternannte Minister der Autofahrer mit Aussagen zur Maut nicht in die Nesseln setzen will. Unter Gorbachs Amtszeit werde es keine weitere Ausdehnung der Bemautung geben, so das Mantra eines Ministersprechers. Wie mehrfach selbst geäußert, strebt Gorbach einen Wechsel in die Privatwirtschaft an. Also sollten sich die heimischen Autolenker nicht darauf verlassen, dass die Maut nie und nimmer kommen wird.

Rotes Tuch für Schwarze
Auch die SPÖ kann sich mit einem Ersatz der Autobahn-Vignette nicht anfreunden. Die Oppositionspartei hat sich schon vor der Wahl festgelegt: Das Pickerl für Pkws bleibt, für Lkws soll die kilometerabhängige Maut von jetzt 22 Cent pro Kilometer auf 29 Cent aufgestockt werden. Die zusätzlichen Einnahmen (470 Mio. Euro pro Jahr) sollen laut Sozialdemokraten in den Eisenbahn-Ausbau gesteckt werden. Anders könne man den erwarteten Zuwachs der Truckerlawine in Österreich nicht in den Griff bekommen, begründet die SPÖ ihren Vorstoß, der bei einer Regierungsbeteiligung realisiert werden soll. Für die derzeitigen Koalitionäre ist eine Pkw-Maut fast ein rotes Tuch. Diese Bemautung sei „kein Thema“, sagte im vorigen August eine Sprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Schon zuvor hatte die Asfinag einen Bericht dementiert, dass sie bereits ein System für eine Pkw-Maut getestet habe. Also ruhen dementsprechende Pläne ganz tief in der Schublade, könnten aber – grünes Licht der Politik vorausgesetzt – sehr rasch umgesetzt werden. Über die für die Lkw-Maut errichtete Infrastruktur könnten in relativ kurzer Zeit auch Pkws abgerechnet werden. Dazu müssten die Autolenker wie die Laster eine Datenbox einbauen, in Österreich Go-Box genannt. Diese speichert als Teil des Telematik- Systems die Daten und übermittelt sie zur Verarbeitung und zur Verrechnung an die EDV. Dass die Front der Mautgegner aber weniger dicht ist als öffentlich behauptet, belegen Aussagen von Asfi nag-Vorstand Franz Lückler. Im November, also drei Monate nach dem Njet des Kanzlers, meinte Lückler, man führe intensive Diskussionen mit dem Eigentümer (sprich: dem Bund). Kaum gesagt, machte die Asfi nag selbst wieder einen Rückzieher. Einen komplett anderen Weg zur Abgeltung der externen Kosten des Automobilverkehrs schlägt Wilfried Puwein vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo vor, nämlich einen Aufschlag auf die Mineralölsteuer, der zweckgebunden in die Finanzierung des hochrangigen heimischen Straßennetzes fließen sollte.

Man sollte statt höherer Mautgebühren den Sprit stärker besteuern, rät der Verkehrsexperte Puwein. Die Vignette, die jeder Lenker für die Autobahn-Benutzung blechen muss, sei ungerecht gegenüber Wenigfahrern und hätte ökologisch eine völlig falsche Lenkungswirkung. „Für einen großen, benzinfressenden Jeep zahlt man heute gleich viel wie für einen VW Lupo, der vier Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Das ist kein Anreiz, Kraftstoff zu sparen, sondern viel eher, nicht auf den Autobahnen zu fahren und auf die Bundesstraßen auszuweichen“, sagt Wifo-Experte Puwein in einem Interview mit economy.

Einhebung kinderleicht
Zusätzlicher Charme eines Aufschlags auf die Mineralölsteuer (Möst): Es gibt nur wenige Zahlungspfl ichtige, denn die Möst wird von den Ölfi rmen eingehoben. „Die Einhebung ist am billigsten, denn dafür sind keine Installationen notwendig. Bei der normalen Einhebung über die Mautgalgen gehen gleich 30 Prozent der Einnahmen drauf“, gibt Puwein zu bedenken. Einziger Schönheitsfehler des Wifo-Vorschlags: Er wäre nur bei europaweit einheitlichen Mineralölsteuer-Sätzen umzusetzen. Während Österreich bezüglich Möst laut dem Verkehrsexperten ein Billigland ist, sei die Steuerbelastung auf Sprit in Deutschland oder Italien höher. „Luxemburg andererseits ist die Tankstelle Europas, da nimmt so mancher Laster einen größeren Umweg in Kauf“, so Puwein. Die Autofahrer werden schon heute über die Mineralölsteuer zur Kasse gebeten, lehnen die Autofahrerklubs Öamtc und Arbö eine kilometerabhängige Pkw-Maut entschieden ab. „Mit der Mineralölsteuer gibt es bereits ein viel besseres Konzept. Bei einer Bilanz der Vorteile und Nachteile gibt es doppelt so viele Argumente gegen die Maut wie dafür. Man sollte das Verursacherprinzip nicht auf die Spitze treiben“, sagt Öamtc-Verkehrswirtschaftsexpertin Elisabeth Brugger-Brandau. Dazu sei mit der Verbrauchsabhängigkeit der Besteuerung von Diesel und Benzin die geforderte ökologische Komponente bereits enthalten, meint der Öamtc. Noch ablehnender ist der Autofahrerklub Arbö. „Für uns ist eine Pkw-Maut ein rotes Tuch. Eine fahrleistungsabhängige Bemautung ist nur dann vorstellbar, wenn im Gegenzug alle anderen motorbezogenen Steuern abgeschafft werden“, sagt Arbö-Pressesprecherin Lydia Ninz. Dazu zählt sie auch die Normverkehrsabgabe (NoVA), die 2008 abgeschafft werden wird, weil die EU gegen Zulassungssteuern ist. Die Ausfälle durch die Streichung der NoVA dürften sich auf rund eine halbe Mrd. Euro belaufen. Dazu kommt die Versicherungssteuer, die sich im Jahr 2004 auf mehr als 1,4 Mrd. Euro belief. Der größte Brocken ist aber bei weitem die Mineralölsteuer, sie spülte im Jahr 2004 fast 3,6 Mrd. Euro in die Kasse des Finanzministers, für 2005 dürfte sie wegen der Eindämmung des Tanktourismus ausländischer Autofahrer und Verbrauchseinschränkungen wegen der derzeit hohen Spritpreise geringer ausfallen. Den Finanzminister freut jeder getankte Liter, denn auf die Mineralölsteuer wird überdies Umsatzsteuer fällig. Laut Arbö nahm der oberste heimische Säckelwart allein an Umsatzsteuern auf Sprit im Vorjahr 214 Mio. Euro mehr ein.

Steuer statt Maut
Der Deal „Tausche Steuern gegen Maut“ bildet die Basis der weitreichenden Pläne der britischen Regierung. Auf der Insel ist die Besteuerung von Treibstoff vergleichsweise sehr hoch. In Großbritannien, dem europäischen Liberalisierungspionier, hat die Regierung beim Thema Pkw-Maut schon den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Das Transportministerium will spätestens im Jahr 2015 zur Reduktion der Verkehrsströme für die Straßenbenutzung je nach Tageszeit, nach Verkehrsaufkommen, aber auch nach der Art der Straßen (ob Autobahn oder Landstraße) eine darauf abgestimmte Maut umsetzen. Im Gegenzug werden alle Steuern gestrichen. Dadurch wird laut dem britischen Transportminister Alistair Darling die Hälfte der Autofahrer besser aussteigen als heute. Um die EU erst gar nicht auf den Plan zu rufen, ist die Maut als Steuer (Road Charge) konzipiert. Abgerechnet wird über Satellit wie beim deutschen System zur Lkw-Bemautung. Österreich setzt dagegen auf die Mikrowellentechnik, wo zur Abrechnung stationäre Mautgalgen eingesetzt werden. Die in Großbritannien diskutierten Mautsätze sind teilweise extrem hoch: Für eine Meile (rund 1,7 Kilometer) auf der vielbefahrenen Autobahn M 25 könnten zu Stoßzeiten 1,34 Pfund (rund 1,95 Euro) fällig werden, der Mindestsatz soll umgerechnet gut 1,7 Cent pro Kilometer betragen. Dieser britische Sonderweg wird auch dadurch erleichtert, dass auf den Straßen der Insel nur wenige ausländische Trucker unterwegs sind und auch der Faktor Transitverkehr komplett wegfällt. Detail am Rande: Ausgangspunkt der britischen Mautüberlegungen war es, die Straßen stau- und verstopfungsfreier zu machen. Aber auch in Österreich gibt es schon konkrete Vorstellungen zu Rahmenbedingungen und Auswirkungen eines Road Pricing für Pkw. Vorgerechnet wurde dies in einer vom Umweltministerium in Auftrag gegebenen Studie der TU Graz und der Universität Graz. Die Maut sollte auf Kilometerabhängigkeit umgestellt werden, so bald dies technisch möglich ist, sagt Werner Gobiet, der Leiter des Instituts für Straßen- und Verkehrswesen an der Grazer TU: „Auf lange Sicht wird Road Pricing für Pkw kommen, dieses System wird sozial verträglicher sein und besser die Kosten wahrheit abbilden. Die Vignette ist dafür nicht das richtige Mittel, sie ist nur ein Finanzierungssystem“, sagt Gobiet im Gespräch mit economy. Pkw-Road Pricing wirke in der Tendenz progressiv, sodass ärmere Haushalte dadurch in geringerem Ausmaß belastet seien als reichere. Frühestes Datum für eine Umstellung wäre das Jahr 2008, wenn das Galileo-Satellitenortungsnetz aufgespannt worden ist. Ausgangspunkt der Berechnungen der Studie ist ein fl ächendeckendes Pkw-Road Pricing. Insgesamt wurden mehrere Maut-Varianten untersucht (siehe Grafi k): von fünf Cent pro Kilometer nur auf Autobahnen und Schnellstraßen bis zu zehn Cent je Kilometer auf allen österreichischen Straßen sowie einem doppelten Satz in Hauptstädten zu Stoßzeiten. Die Einnahmen eines fl ächendeckenden, zeitlich differenzierten Road Pricing würden alles, was die Asfi nag durch die Vignette einnimmt, bei weitem übertreffen.

Bis zu sechs Milliarden
Die Maut könnte je nach Variante bis zu mehr als sechs Mrd. Euro im Jahr einbringen. Selbst in der für die Autofahrer billigsten Variante würden fast zwei Mrd. Euro hereinkommen. Zum Vergleich: Im Vorjahr hat die Asfi nag mit der Autobahnvignette in etwa 300 Mio. Euro eingenommen. Zudem habe Road Pricing noch deutliche ökologische Lenkungseffekte, erklärt der Grazer Verkehrsexperte. Dadurch könnte der Verkehr um mindestens fünf Prozent und der Kohlendioxid-Ausstoß um 570.000 Tonnen sinken. Unerwünschte soziale Neben effekte wie die höhere Belastung von Pendlern könnten durch gezielten Einsatz der Einnahmen kompensiert werden. Geteilt sind die Meinungen in Österreich hinsichtlich des Themas City-Maut, das ist eine Gebühr, die bei Fahrt in innerstädtische Bereiche zu berappen ist. Während Gobiet von der TU Graz daran bemängelt, dass dadurch der stauanfällige innerstädtische Verkehr nicht steuerbar ist, spricht sich der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) dafür aus und lehnt zugleich generelles Road Pricing ab. „In London oder Stockholm nimmt der Verkehr durch die City-Maut um 15 bis 20 Prozent ab“, sagt Christian Gratzer vom VCÖ.

Intelligenztest
Österreich hat den ersten Schritt zur Einführung telematischer Verkehrssteuerungssysteme schon hinter sich. Auf Tirols Autobahnen läuft ein Testbetrieb in Echtzeit. Dabei wird der Verkehr von der Asfi nag- Steuerungszentrale in Wien-Inzersdorf ferngesteuert. Über elektronische Anzeigetafeln kann direkt ins Verkehrsgeschehen eingegriffen beziehungsweise auf Unfälle oder Staus unmittelbar reagiert werden. Bis zum Jahr 2010 sollen alle heimischen Ballungsräume an das Asfi nag- Telematiknetz angeschlossen sein. Die Kosten für de Einführung der intelligenten Straße betragen 300 Mio. Euro. Laut Asfinag soll das neue System die Unfälle um bis zu 35 Prozent senken und mithelfen, 15 Prozent mehr Fahrzeuge auf die Highways zu bringen.

Ausgewählter Artikel aus Printausgabe 03/2006

Clemens Rosenkranz, Economy Ausgabe 03-02-2006, 23.02.2017