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04. November 2024

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It‘s Time for a Change

It‘s Time for a Change© Carla Müller

Der anhaltende Wandel im heutigen Business bewirkt einen Zwang zur ständigen Erneuerung der Organisationsstruktur. Kosten müssen runter. Märkte ändern sich. Veränderungsprozesse, die irritieren können.

Die Zeiten werden rauer. Der Kampf um Marktanteile wird härter. Aber auch dynamischer: Wachstum und Rückgang wechseln in schnelleren Zyklen. Und als einzige Konstante bleibt uns bald wohl nur noch: die Veränderung. Man kann dies optimistisch betrachten: als täglich uns zuwachsende Fülle neuer Chancen, als erfrischenden Wandel, als Wind, der den penetranten Mief abgestandener Business- Konventionen wegfegt. Frei nach Goethes Faust: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Oder aber man begegnet der permanenten Veränderung mit Skepsis: So schlecht war das Bisherige, das Gewohnte nun auch nicht. Und: Wie lange werden wir das durchhalten, wenn hinter jedem erfolgreich erklommenen Gipfel schon wieder der nächste Berg als Herausforderung auf uns wartet? Vielleicht sollten wir besser das Erreichte absichern und genießen? Notorische Pessimisten bemühen für ihre Sicht auf das Phänomen des ständigen Wandels gar den alten Mythos von Sisyphos: Kaum hat diese von den Göttern bestrafte Kreatur den schweren Stein den Hang hinauf geschleppt, rollt dieser prompt wieder zu Tale.

Und noch einmal – und wieder. Und noch einmal – und wieder: ein absurder Prozess, der den Zyklen der modernen Wirtschaft in Wahrheit nicht ganz unähnlich zu sein scheint, mutmaßt so mancher Zyniker. Wie dem auch sei: Veränderung ist jedenfalls angesagt. Der Veränderung kann man sich nicht ungestraft entziehen. Die Aktionäre fordern zwecks optimaler Kursentwicklung eine gloriose Zukunft. Der Druck des Marktes lässt die Firmen ständig einen kalten Hauch im Nacken spüren. Der globale Wettbewerb kennt keine Atempausen. Und um all dem erfolgreich zu begegnen, braucht fast jedes Unternehmen eine modernere Strategie, eine robustere Organisation, neue Produkte und Technologien. Und dies immer wieder. Und immer wieder. „Aus diesem Zwang zur Bewegung hat sich inzwischen ein eigenes Business entwickelt, die Gestaltung des Wandels. Oder – in vielen Ohren wohlklingender: Change Management.“ Ein Zitat aus der jüngsten und bislang genauesten Studie, welche sich unter dem Titel „Veränderungen erfolgreich gestalten. Change Management 2005“ mit den aktuellen Bedingungen und Konsequenzen des ständigen Wandels in der Wirtschaft kritisch auseinander setzt. Das Team rund um Martin Claßen, Vice President der Berater-Organisation Capgemini, konnte in präzisen Befragungen von repräsentativ ausgewählten 114 Führungskräften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowohl die Chancen als auch die Gefahren von Veränderungsprozessen erstmals erfassen.

Österreich tickt anders

Die erhobenen Fakten zeigen den enorm hohen Stellenwert, der von den befragten Führungskräften dem Change Management zugeschrieben wird: Für 84 Prozent ist dies aktuell ein wichtiges Thema. In einem Ausblick auf das Jahr 2010 hat sich dieser Stellenwert noch gesteigert: 96 Prozent der Befragten erwarten eine bedeutsame Rolle von Change Management. Als Ausreißer nach unten zeigt sich lediglich Österreich, wo derzeit noch jeder dritte Manager das Thema als weniger wichtig einschätzt. Ein Stellenwert, der sich jedoch in der Sicht auf die kommenden Jahre auch bei den österreichischen Führungskräften deutlich erhöht.

Als besonders veränderungsbewusste Branchen erwiesen sich Energie/Versorger, Elektronik, Informationstechnologie sowie Banken und Versicherungen. So weit gespannt der Begriff „Change Management“ auch bleibt, die Anlässe und Gründe für Veränderungen in Unternehmen sind hingegen klar identifi - zierbar: Mit weitem Abstand (71 Prozent) ist Restrukturierung/ Reorganisation die Hauptursache für „Change“, gefolgt von Kostensenkungsprogrammen/ Rightsizing (42 Prozent) und einer veränderten Unternehmensstrategie (41 Prozent). Mergers & Acquisitions sowie veränderte Marktstrategie spielen mit 37 beziehungsweise 30 Prozent ebenfalls noch eine größere Rolle, dahinter wird nur noch die IT-Innovation sowie die Internationalisierung (jeweils mit 23 Prozent) als Anlass für gröbere Veränderungen im Unternehmen häufi ger genannt. Beim differenzierenden Blick auf die drei Länder zeigt sich erneut, dass Österreich „anders“ ist: Die Kostensenkung hat mit nur sieben Prozent eine sehr geringe Relevanz für Change-Prozesse, auch die Rolle von Mergers präsentiert sich weit unterproportional (21 Prozent). Im Kontrast dazu ist die Internationalisierung mit 36 Prozent ein extrem wichtiger Grund für gezielte Veränderung.

Dennoch: So sehr diese Zahlen belegen, wie unvermeidlich sich die bewusste Gestaltung von Veränderung im aktuellen Business-Leben aufdrängt, so irritierend gering bleibt die derzeitige Erfolgsquote der initiierten Change- Prozesse. Das zeigt eine andere Untersuchung, durchgeführt von Dietmar Vahs, Professor für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Esslingen, die nachweisen konnte, dass mehr als 50 Prozent der Veränderungsprozesse in Unternehmen nicht zum gewünschten Ziel führen. Auch die Capgemini-Studie ergab, dass unzulänglich durchgeführte Veränderungsprojekte einen durchschnittlichen Rückgang der Produktivität von 21 Prozent bewirken. Plastisch ausgedrückt: Jeder fünfte Mitarbeiter wird durch ein missglücktes Change Management zum Totalausfall.

Die Ursachen dafür sind vielfältig, so die befragten Führungskräfte: Sie reichen von unzureichender Information über laufende Prioritäten und erwartete Ergebnisse über ineffizientes Arbeiten aufgrund von Unkenntnis über den Veränderungsprozess bis hin zu bewusster Opposition, in letzter Konsequenz sogar zu entnervter Kündigung. Zudem offenbaren sich hier dezidiert nationale Eigenheiten: Deutsche Manager und Mitarbeiter reagieren gerne mit Opposition, Schweizer kündigen überproportional „gerne“ – und Österreicher zeigen sich demotiviert, wenn sie im Prozessverlauf unzulänglich informiert werden. Der Capgemini- Experte Martin Claßen bringt all diese Tendenzen ironisch auf den Punkt: „Change Management lebt davon, dass viele Menschen nicht so wollen, wie sie sollen.“ Warum wohl so viele „betriebliche Mitmenschen“ den vielfältigen Change-Prozessen eher negativ gegenüberstehen? Weil sie in Summe von den Veränderungen am meisten betroffen sind. Die Mitarbeiter zu 91 Prozent, die Middle Manager zu 85 Prozent und das Senior Management zu 50 Prozent. Die Top-Ebene hingegen leitet den Wandel zwar ein, ist aber von den (bisweilen unliebsamen) Konsequenzen kaum berührt: Aufsichtsrat, Investoren, Personalvorstand, Geschäftsführer – allesamt werden mit einer Quote von weniger als zehn Prozent von den Auswirkungen der Veränderung tangiert.

Management-Stil fragwürdig
Sie agieren somit aus einer geschützten Zone heraus, ein kontraproduktives Faktum, das so manchen unglaubwürdig werden lässt, meint der Capgemini- Mann Claßen: „Es scheint immer mehr zum akzeptierten Management- Stil zu gehören, bei Veränderungsvorhaben die Interessen und Bedürfnisse der Belegschaft auszublenden. Investment Banker machen dies bereits seit Langem vor: Die Due Diligence etwa bei Akquisitionen kümmert sich um Bilanzen und Märkte, nicht aber um diejenigen, die später dann Synergien heben sollen.“ Nur logisch, dass die Ignoranz gegenüber den am meisten Betroffenen diese zu Negativhaltungen gegenüber Veränderungen animiert: Während vom CEO über den Vorstand bis hin zu den Investoren allesamt begeistert den Wandel einläuten, kippt die Stimmung bereits beim Middle Management in kritische bis ablehnende Grundhaltungen. Und schlägt bei den Mitarbeitern dann vollends in eindeutig negative Einstellungen um. Ein Sachverhalt, den die Autoren der Studie trocken kommentieren: „Wahrscheinlich lässt sich über Reformen leichter entscheiden, wenn man nicht davon betroffen ist.“ Der logische Schluss liegt wohl auf der Hand: Das heute übliche „Change Management“ benötigt wohl selbst einen deutlichen Wandel, damit seine ehrgeizigen Zielvorgaben auch mit Erfolg erreicht werden. Wie lautete doch Bill Clintons Wahlslogan? It‘s Time for a Change!

Ausgewählter Artikel aus Printausgabe 04/2006

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Jakob Steuerer, Economy Ausgabe 05-03-2006, 03.03.2017